wollte ich von Kultusminister Prof. Dr. Piazolo am 7. Februar in Nürnberg wissen. Es war meine erste Kundgebung als Redner, und dann auch gleich eine wirklich Große. Gemeinsam mit dem NLLV hatten wir geplant und organisiert. Das „Piazolo Paket“, das das Kultusministerium im Januar verkündet hatte, bedeutete eine Anhebung des Mindeststundenmaßes bei Antragsteilzeit für Lehrkräfte und Fachlehrkräfte auf 24 bzw. 23 Stunden für Sonderschullehrkräfte, eine Anhebung des Antragsruhestandes ab 65 Jahren, eine vorrübergehende Arbeitszeiterhöhung für viele Grundschullehrkräfte von einer Stunde in Form eines Arbeitszeitkontos und die Abschaffung der Freistellungsmodelle („Sabbatjahre“). Das Kultusministerium reagierte mit dieser unpopulären Maßnahme auf den extremen Lehrkräftemangel, um irgendwie annähernd Planungssicherheit für das neue Schuljahr zu bekommen.
Es gelang uns, 2000 Kolleg:innen zu mobilisieren. Wir hatten einen 7,5t Laster, den ich gemeinsam mit unserem Kultusminister fahren durfte (ich fahre gerne große Autos!), eine professionelle Soundanlage, einen Pavillon, Fahnen, zahlreiche Unterstützer:innen und schon bald war der Platz vor der Lorenzkirche komplett gefüllt. Piazolo und ich waren zuletzt dran. Der Herr Minister war sehr aufgeregt, aber gemeinsam konnten wir das Ding gut schaukeln und den bereits frierenden Lehrkäften und Unterstützer:innen noch mal kräftig einheizen.
So können wir weder den Schüler:innen noch unserem Berufsethos gerecht werden
Hey Leute,
es ist wirklich saukalt, und ich finde es so gut, dass ihr immer noch hier steht. Dafür habe ich auch eine Überraschung für Euch – mich hat nämlich eine Kollegin angesprochen und gefragt, ob denn Herr Piazolo hier wäre. Und ich kann Euch sagen – er ist hier. (Ich setze den Momel-Piazolo auf seinen Platz und setze meine Rede fort.
Ich werde mich also vor allem an Sie wenden, Herr Prof. Dr. Piazolo, denn ich habe ein paar Fragen ausgewählt, mit denen Sie sich meiner Meinung nach beschäftigen sollten. Vielleicht könnt ihr Lärm machen, wenn ich eine Frage gestellt habe, damit Herr Prof. Dr. Piazolo aufmerksam bleibt. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob die Personen im Kultusministerium die letzten Jahre überhaupt zugehört haben.
Ich beginne als Vater eines Grundschulkindes. Ich zitiere aus dem Flyer „Die bayerische Grundschule“ des Kultusministeriums. Die Grundschule hat neben dem Wissenserwerb die Aufgabe, meine Tochter in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen. Sie soll an ihre Erfahrungs- und Erlebniswelt anknüpfen und sie legt letztendlich den prägenden Grundstein für ihre weitere Schulkarriere. Der Grundschule kommt demnach größte Bedeutung zu.
Die Erlebniswelten der Kinder haben sich in den letzten Jahrzehnten aber immer schneller verändert und tun das noch. Die Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler sind bei Schuleintritt sehr unterschiedlich, die Anforderungen an die Lehrkräfte, allen Kindern gerecht zu werden, somit hoch. Daneben spricht der Grundschul-Flyer unter anderem von weiteren Aufgaben: Kooperationsklassen, Partnerklassen, Einzelinklusion, das Schulprofil „Inklusion“, jahrgangskombinierte Klassen, flexible Grundschule, Individualisierung in der Grundschule, Kinder mit zusätzlichem Sprachförderbedarf, Hochbegabung, Schulberatung, Übergangsklassen und Lehrplandruck und letztendlich die Tatsache, dass nach vier Jahren eine fundierte Aussage getroffen werden muss, welcher Schulort in der weiteren Schulkarriere der richtige sein wird – all das erfordert hoch qualifizierte Arbeit.
Eh schon mit der höchsten Unterrichtspflichtzeit innerhalb der Schullandschaft bedacht, müssen Grundschullehrerinnen und -lehrer nun eine Erhöhung der Arbeitszeit hinnehmen. Und verdienen dabei am wenigsten unter allen Lehrkräften. Ich erlebe persönlich, wie die Grundschullehrkräfte unter der Last ächzen, wie die Klasse meiner Tochter angesichts fehlender Vertretungslehrkräfte regelmäßig aufgeteilt wird und wie es aufgrund der Klassengröße unmöglich scheint, allen Kindern gerecht zu werden.
Herr Prof. Dr. Piazolo, wie können Sie es eigentlich verantworten, dass Grundschullehrkräfte angesichts der umfassenden und verantwortungsvollen Aufgaben weniger verdienen als all ihre Kolleginnen und Kollegen an anderen Schulen und warum wundern Sie sich eigentlich, dass viel zu wenige Menschen den damit unattraktivsten Lehrberuf aller Schularten wählen?
Ganz klar, A 13 für alle!
Als Lehrer an einem Förderzentrum spreche ich ebenfalls zu Ihnen. Der Lehrermangel führt schon lange zu teilweise dramatischen Situationen im Schulbetrieb. Ich will ein Beispiel herausnehmen. Sie behaupteten zu Beginn des Schuljahres noch, dass vor jeder Klasse eine Lehrkraft stehen würde. Nun, im Förderschulbereich ist es in der Regel eher so, dass eine Lehrkraft aufgrund von Klassenaufteilungen sehr häufig vor mindestens eineinhalb Klassen stehen muss. Die Klassen sind rappelvoll. Die Förderbedarfe der Kinder umfangreich und umfassend. Die Arbeit hochgradig anstrengend und belastend. Vertretungslehrer? Fehlanzeige. Mobile Reserven? Längst alle verteilt. Aber wie gut, dass aufgeteilte Klassen in der Statistik nicht als ausgefallener Unterricht auffallen.
Herr Prof. Dr. Piazolo, es fehlt auch im Förderschulbereich massiv der Nachwuchs! Noch vor zehn Jahren wurden gut ausgebildete Förderschullehrkräfte mit teilweise absurden Einstellungsnoten in andere Bundesländer vertrieben oder mit befristeten Arbeitsverträgen abgespeist. Heute sind es nun Kolleginnen und Kollegen anderer Schularten, deren Not man mit prekären Beschäftigungsverhältnissen ausnutzt, um den Schulbetrieb aufrechterhalten zu können. Und die Nachqualifizierungsmöglichkeiten täuschen nicht darüber hinweg, dass die Qualität der sonderpädagogischen Arbeit darunter leiden muss und das Arbeitspensum der bestehenden Fachkräfte erhöht wird.
Ich denke, ich spreche für alle Lehrkräfte, die ihren Job noch mit einem gewissen Idealismus betreiben – es sind nicht die allgemeinen Dienstpflichten, die belasten und krank machen – es ist die Gewissheit, den Schülerinnen und Schülern und ihren individuellen Bedürfnissen aufgrund der bestehenden und sich verschärfenden Rahmenbedingungen nicht mehr gerecht werden zu können.
Herr Prof. Dr. Piazolo, wie können Sie es eigentlich verantworten, dass einer Lehrkraft heute eigentlich nur noch zwei Möglichkeiten bleiben, um den Beruf möglichst gesund bis zum Ende durchzuhalten – entweder den eigenen Anspruch begraben, um sich nicht komplett aufzuarbeiten, oder aber ein Teilzeitmodell wählen, das Sie jetzt einschränken?
Auch als Personalrat habe ich eine Frage ausgewählt, die zum Thema passt. Vielen Dank übrigens für Ihr Maßnahmenpaket, das hat meinen Arbeitsaufwand in den letzten Wochen erheblich erhöht – und die Nachfragen bezogen sich nicht auf Ihre Bitte um Solidarität und freiwillige Stundenerhöhung. Aber was ich wirklich wissen will – Sie jammern ja gerne darüber, dass so viele Lehrkräfte Teilzeit arbeiten und dass das schlecht für Kollegien wäre. Ich kann Ihnen sagen – gerade ältere Lehrerinnen und Lehrer arbeiten vor allem deswegen oftmals in Teilzeit, weil sie kaum eine andere Chance sehen, dem Druck standzuhalten und all die außerunterrichtlichen Dienstpflichten zu schaffen. Sie wollen Beispiele? Eine Klassenleitung mit 15 Stunden Unterrichtsverpflichtung schreibt in der Regel trotzdem alle Zeugnisse, korrigiert alle Schülerarbeiten, führt alle Lernentwicklungsgespräche und sonstige Elterngespräche, schreibt alle Förderpläne, leitet alle Elternabende, entwickelt Schulprofile oder schulhausinterne Lehrpläne, schreibt Stoffverteilungspläne, kommt zu allen Konferenzen und Teamsitzungen, übernimmt eben immer Verantwortung für alle ihre Schülerinnen und Schüler. Dabei gibt es ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das Teilzeit über die Unterrichtspflichtzeit hinaus regelt – Teilzeitkräfte dürfen nur entsprechend ihrer Quote zur Dienstleistung herangezogen werden, und das betrifft alle außerunterrichtlichen Tätigkeiten genauso wie Funktionstätigkeiten. Jetzt kommen Sie mit einer Reduzierung der Teilzeitmöglichkeiten und erhöhen auf betroffene Lehrkräfte noch den Druck?
Herr Prof. Dr. Piazolo, wie können Sie es angesichts Ihrer Fürsorgepflicht eigentlich verantworten, dass das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Teilzeit im Schulbetrieb nicht konsequent umgesetzt wird und in Teilzeit arbeitende Kolleginnen und Kollegen aller Schularten damit offensichtlich ausgebeutet und durch ihre Maßnahme noch weiter ausgebeutet werden?
Als Gewerkschafter der GEW sage ich Ihnen – Ihr Maßnahmenpaket beschönigt vielleicht die Zahlen auf Ihrem Papier. Aber es ist viel zu kurz gedacht. Als Lösung für die langfristigen Probleme innerhalb der Schullandschaft kann es nicht herhalten. Sie kennen ja die Prognosen zum Lehrermangel – allein 2025 werden weitere 25.000 Grundschullehrkräfte deutschlandweit fehlen. Und es ist offensichtlicher denn je: Unser Schulsystem in seiner derzeitigen Form ist nicht in der Lage, angemessen auf die Anforderungen unserer Zeit zu reagieren.
Nirgendwo ist schulischer Erfolg so abhängig von der sozialen Herkunft wie in Bayern. Statt Verhältnisse zu ändern, werden Verhältnisse zementiert. Auf die globalen, gravierenden und existenziellen Fragen finden sich keine Antworten. PISA, VERA, IGLU und wie sie alle heißen können nicht darüber hinwegtäuschen – den unterschiedlichen Bedürfnissen und Potenzialen der Schülerschaft wird Schule in dieser Form in den nächsten Jahren nicht gerecht werden können.
Ich fordere Sie auf, zuzuhören, wenn Kolleginnen und Kollegen aus der Praxis sprechen und Lösungsvorschläge unterbreiten. Ich fordere Sie auf, Sorgen ernst zu nehmen und endlich eine politische Debatte darüber zu führen, was unser Bildungssystem in der Zukunft leisten muss und wie Schule entsprechend neu gedacht werden kann.
Hören Sie auf, die Löcher mit zweifelhaften Maßnahmen zu stopfen und ein „Immer mehr“ auf die Rücken der Beschäftigten zu packen. Machen Sie jetzt Ihre Hausaufgaben, und zwar anständig! Denn es geht letztendlich um Bildungsqualität und die Zukunft derer, die noch keinerlei Verantwortung dafür tragen können, was wir Ihnen hinterlassen.
Ich habe keine weiteren Fragen. Vielen Dank.
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