Kurze Einschätzung eines Personalrats zum Thema „Schwangere zurück in Präsenz“ an bayerischen Schulen und weils mich einfach umtreibt.
Betriebliches Beschäftigungsverbot endet nur mit Gefährdungsbeurteilung
Seit Corona besteht für schwangere Lehrkräfte, Beschäftigte und Schülerinnen ein so genanntes betriebliches Beschäftigungsverbot, in der Öffentlichkeit auch gerne „Betretungsverbot“ genannt. Schwangere arbeiten seitdem im Home-Office und dürfen Schulen aufgrund einer erhöhten Infektionsgefahr und nicht geklärter gesundheitlicher Risiken für sie und ihre ungeborenen Kinder nicht betreten.
Das soll sich nun ändern. Ab nächstem Dienstag, den 04.10.2022, können schwangere Kolleginnen auf eigenen Wunsch hin wieder in Präsenz unterrichten – sofern laut Kultusministerium sowohl eine anlasslose Gefährdungsbeurteilung (GBU) Mutterschutz für sämtliche Arbeitsbereiche in der Schule als auch eine anlassbezogene individuelle GBU für die schwangere Kollegin vorliegt. Dienststellenleiter sind nach §5 Arbeitsschutzgesetz und §10 Mutterschutzgesetz hierzu verpflichtet – neben der allgemeinen GBU für alle Bereiche. (*ironieon* aber hey, die ist ja selbstverständlich *ironieoff) Dienstellenleiter sind im Bereich Schule die Schulleitungen. Sie sind gemäß Dienststellenmodell für den Arbeits- und Gesundheitsschutz im Bereich innerer Betrieb der Schule zuständig.
Das bedeutet: Bereits vor Bekanntgabe einer Schwangerschaft sind alle Arbeitsplätze und Tätigkeiten hin auf Gefährdungen für (stillende) Mütter hin zu beurteilen. Alle Beschäftigten müssen über das Ergebnis und evtl. anfallende Schutzmaßnahmen informiert werden. Nach Bekanntwerden einer Schwangerschaft ist eine anlassbezogene GBU notwendig. Jetzt müssen konkreter Arbeitsplatz und Tätigkeiten der Beschäftigten auf Gefährdungen überprüft werden. Außerdem ist eine Beurteilung der individuellen Infektionsgefährdung notwendig, die sich aus Immunstatus und Tätigkeit ergibt. Im Rahmen von Corona sollte außerdem der eigene Risikostatus hinsichtlich eines schweren Verlaufs berücksichtigt werden. Das sind keine Aufgaben, die Schulleitungen übernehmen können.
Individuelle Infektionsgefährdung
Die Homepage des bereits eingestellten Projektes „Gesundheitsvorsorge an Schulen in Bayern“ weist deshalb auch folgerichtig darauf hin, dass man sich zur Ermittlung der eigenen Infektionsgefährdung an das Arbeitsmedizinische Institut AMIS wenden soll. Auf der aktuelleren Seite des Arbeitsmedizinischen Instituts heißt es: „Auf Basis Ihrer Angaben aus Impf- und Mutterpass sowie einer ggf. zusätzlich notwendigen Blutuntersuchung beurteilen die Ärzt*innen Ihre individuelle Infektionsgefährdung. Alle Ihre Daten unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht. Diese Beurteilung Ihrer individuellen Infektionsgefährdung wird Ihnen zur Vorlage bei der Schulleitung ausgehändigt und enthält keine personenbezogenen Angaben zu Ihrem Gesundheitsstatus. Bei Bedarf beinhaltet sie ergänzende Empfehlungen zur Einrichtung einer mutterschutzkonformen Tätigkeit.“
Wo bleibt der Praxisleitfaden?
Das Kultusministerium weist in einem Schreiben an alle Schulen auf die arbeitsschutzrechtlichen Pflichten der im Dienststellenmodell verantwortlichen Schulleitungen hin und scheint davon auszugehen, dass Schulleitungen diese Pflichten bewusst sind, das alles selbstverständlich ist und schon immer so gemacht wird. Allerdings spielt das Thema der „Gefährdungsbeurteilung“ im Schulbetrieb so gut wie keine Rolle. Immerhin kündigte das Kultusministerium einen Praxisleitfaden für die GBU Mutterschutz an. Auf der Homepage des KM ist der allerdings bis heute nicht abrufbar. Ab dem 04.10. sollen Schwangere wieder in Präsenz arbeiten können.
Wer die Kommunikation des Kultusministeriums kennt, wird bereits davon ausgehen, dass der Praxisleitfaden am Freitag gegen 16 Uhr erscheint. Dann ist Wochenende, am Montag, den 03.10. ist Feiertag, am Dienstag könnten schwangere Kolleginnen dann wieder arbeiten. In den Augen des Kultusministeriums scheinbar genug Zeit, um bis dahin eine anlasslose und eine anlassbezogene Gefährdungsbeurteilung für schwangere Lehrkräfte zu erstellen, inklusive Ermittlung der individuellen Infektionsgefährdung und des Risikostatus.
Wer nicht auf das Kultusministerium gewartet, sich ins Arbeitsschutz- und ins Mutterschutzgesetz eingearbeitet hat und bereits tätig geworden ist, dem könnte es gelungen sein, die gesetzlichen Vorgaben zum Schutz von Müttern und ungeborenen Kindern einzuhalten. Wer allerdings dem obersten Dienstherren vertraut und bislang noch nicht tätig geworden ist, sollte am Dienstag keine schwangere Kollegin in Präsenz einsetzen, sofern die GBUs nicht entsprechend erstellt sind.
Gesundheitsschutz so nicht umsetzbar – Remonstration
Ich weise zusätzlich auf die Möglichkeit hin zu remonstrieren: Bislang stehen lapidare Aussagen und Hinweise auf Gesetze im Raum, die den Einsatz von schwangeren Lehrkräften ermöglichen sollen. Umfassende allgemeine Gefährdungsbeurteilungen, anlasslose Gefährdungsbeurteilungen Mutterschutz und auch die individuelle Gefährdungsbeurteilung sind aber nicht einfach so durchzuführen, indem man ein paar Kästchen anklickt – geschweige denn, dass Checklisten vorhanden wären. Zudem steht der angekündigte Praxisleitfaden aus. Schulleitungen sind für den Arbeits- und Gesundheitsschutz zuständig und das Kultusministerium delegiert mal wieder eine Aufgabe nach unten, für deren korrekte und sinnvolle Ausführung in meinen Augen die notwendigen Strukturen fehlen. In meinen Augen können von Seiten der Schulleitung unter diesen Umständen die gesetzlich vorgeschriebenen Regelungen nicht eingehalten werden – ein guter Grund, die Anweisung von sich zu weisen und zu remonstrieren.
Ich finde es erneut erschreckend, wie mit gesetzlichen Vorgaben zum Arbeits- und Gesundheitsschutz und damit auch mit der Gesundheit von Kolleginnen und Kollegen im Bereich Schule umgegangen wird. Ausführlichere Gedanken dazu, und warum ich das Dienststellenmodell für nicht geeignet halte, einen gesetzeskonformen Gesundheitsschutz für Beschäftigte an Schulen zu gewährleisten, habe ich im Artikel „Die Gefährdungsbeurteilung an bayerischen Schulen“ zusammengefasst. Zum Umgang des Kultusministeriums mit Kolleginnen und Kollegen zu Zeiten der Pandemie entstand zudem der Apfelkommentar.
Mein Rat als Personalrat: Gefährdungsbeurteilung ernst nehmen!
Ich habe mich zu diesem Thema selbst an AMIS gewandt, weil mich viele Nachfragen erreichen, die ich immer nur mit einem „Abwarten“, „Da kommt noch was vom KM“ und Hinweisen auf die GBUs („Was ist das?“) beantworten kann. Meine Erfahrung: Schulleitungen wissen kaum etwas über die gesetzlichen Vorgaben rund um den Arbeits- und Gesundheitsschutz – woher auch. AMIS konnte mir allerdings auch nicht weiterhelfen. Man weiß auch dort nicht, wann ein Praxisleitfaden kommt, ist weiterhin mit den Checklisten für die allgemeine Gefährdungsbeurteilung beschäftigt und berät Schulleitungen und betroffene Kolleginnen nur allgemein.
Ich kann nur jeder Schulleitung raten: Nehmt das Thema bitte ernst. Wendet euch ebenfalls an AMIS. Beratet eure schwangeren Kolleginnen entsprechend. Es ist Eure Pflicht, die Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen. Bedenkt, dass all das Geschriebene auch für schwangere Schülerinnen gelten muss, und was das in der Praxis bedeutet. Wenn ihr aus nachvollziehbaren Gründen keine Verantwortung übernehmen wollt, tut das kund.
Und an alle schwangeren Kolleginnen: Lasst euch nicht unter Druck setzen. Die medizinische Faktenlage ist meiner Kenntnis nach nicht eindeutig und eine Infektion kann unter Umständen euch und euer ungeborenes Kind schädigen. Wendet euch unbedingt an AMIS und an eure behandelnden Ärztinnen oder Ärzte. Fordert entsprechende Gefährdungsbeurteilungen ein! Ohne die muss (!) weiterhin ein betriebliches Beschäftigungsverbot ausgesprochen werden und ein Einsatz in Präsenz ist nicht möglich.
Quellen und weiterführende Links:
Gesundheitsvorsorge an Schulen (abgerufen am 29.09.2022)
http://www.klinikum.uni-muenchen.de/Lehrer-Gesundheitsvorsorge-Bayern/de/mutterschutz/index.html
AMIS Beratungsangebot Mutterschutz (abgerufen am 29.09.2022)
https://www.lgl.bayern.de/arbeitsschutz/amis/mutterschutz/index.htm#schulleitungen
Kultusministerium: Arbeitsschutz an Schulen (abgerufen am 29.09.2022)
https://www.km.bayern.de/lehrer/dienst-und-beschaeftigungsverhaeltnis/lehrergesundheit/arbeitsschutz-an-schulen.html
Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales: Mutterschutz – Informationen zum Coronavirus (abgerufen am 29.09.2022)
https://www.stmas.bayern.de/coronavirus-info/corona-mutterschutz.php
Bundesministerium für Gesundheit: Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit (abgerufen am 29.09.2022)
https://www.zusammengegencorona.de/faqs/spezifische-personengruppen/schwangere-und-stillende/
Rehm-Verlag: Remonstration durch den Beamten (abgerufen am 29.09.2022)
https://www.rehm-verlag.de/eLine/portal/start.xav?start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27BeamtreBay_f57b9c300ef6550153aaf0ca72127205%27%20and%20%40outline_id%3D%27BeamtreBay%27%5D
Arbeitsschutzgesetz (abgerufen am 29.09.2022)
https://www.gesetze-im-internet.de/arbschg/
Mutterschutzgesetz (abgerufen am 29.09.2022)
https://www.gesetze-im-internet.de/muschg_2018/
Ok, ich hab mich um 2 Stunden verschätzt. Das Kultusministerielle Schreiben kam um 14 Uhr – inklusive 7 Anlagen, insesamt knapp 80 Seiten. Umfangreiche Checklisten für die allgemeine Gefährdungsbeurteilung, die anlasslose GBU Mutterschutz, die anlassbezogene GBU Mutterschutz und eine zusätzliche Ergänzungs-Checkliste bezüglich der Infektionsgefährdung durch SARS-CoV-2. Kurz: Ohne GBU und ohne Ermittlung der individuellen Infektionsgefährdung können Schwangere nicht in Präsenz arbeiten. Sollten diese Unterlagen da sein, müssen Schwangere im Kontakt mit Kindern in jedem Fall FFP2-Masken tragen, die ihr gestellt werden.
Ich kann mir vorstellen, wie Schulleitungen, die schon auf dem Weg ins wohlverdiente Wochenende waren, gekotzt haben. Das ganze mutet an wie ein Ultra-Crashkurs-Gefährdungsbeurteilung – immerhin bietet das Arbeitsmedizinische Institut Schulungen an. Fakt ist aber auch – bis Dienstag kann kein Mensch diese Aufgaben ernsthaft bewältigen. Ich gehe davon aus, dass am Dienstag keine Schwangere ihren Dienst in Präsenz antreten wird.
Und ich bleibe dabei: Die gesetzlichen Vorgaben des Arbeits- und Gesundheitsschutzes haben nichts auf den Schultern von bereits radikal ausgelasteten Schulleitungen zu suchen – das Thema ist viel zu wichtig, als dass es in entnervtem Checklisten-Ankreuzen enden kann. Es braucht zusätzliches Fachpersonal, das direkt für Schulen zuständig ist und die Aufgaben in Sachen Arbeits- und Gesundheitsschutz übernimmt. Die Eingruppierung der Schulen in den „Bürobereich“ und die damit verbundenen 0,2 Stunden betriebsärztliche Versorgung und 0,3 Stunden arbeitssicherheitstechnische Versorgung je Lehrkraft im Jahr ist ein Witz.