12. Dezember 2024

Dienstunfähigkeit? AMIS solls richten

Eine Anfrage der SPD im bayerischen Landtag im Juni 2021 zu frühzeitigem Ruhestand und Dienstaustritt ergab: Bayerns Lehrkräfte werden so oft vorzeitig dienstunfähig wie noch nie.

Bereits im Juni dieses Jahres wollte die Landtagsabgeordnete Simone Strohmayer per Anfrage an den bayerischen Landtag wissen, wie viele Lehrkräfte denn in den letzten Jahren vorzeitig aus dem Dienst ausgeschieden sind. Die These: Durch Corona haben sich die Arbeitsbedingungen zusätzlich verschlechtert und die Belastungen zugenommen. In den letzten Jahren wurden immer mehr Aufgaben auf die Schultern der Beschäftigten abgeladen. An Grund-, Mittel- und Förderschulen kommt zudem ein gravierender Lehrkräftemangel hinzu. Der Bedarf kann seit Jahren nicht mehr mit entsprechend qualifiziertem Personal gedeckt werden. Drittkräfte und Zweitqualifikanten benötigen Einarbeitungszeit und Unterstützung.

Die Beantwortung war eindeutig. „Lehrkräfte so oft dienstunfähig wie noch nie“, titelte die Bayerische Staatszeitung am 05.11.2021. Fakt ist, dass der Wert im Schuljahr 19/20 so hoch war wie seit 2013 nicht mehr.

Tabelle zur Dienstunfähigkeit. 426 Lehrkräfte wurden im Schuljahr 19/20 dauerhaft dienstunfähig.
Quelle: Schriftliche Anfrage
der Abgeordneten Dr. Simone Strohmayr SPD
vom 04.06.2021

Tabelle mit den Zahlen zum Antragsruhestand. 1049 Lehrkräfte gingen im Schuljahr 19/20 vorzeitig in den Ruhestand. Das entspricht 44%.
Quelle: Schriftliche Anfrage
der Abgeordneten Dr. Simone Strohmayr SPD
vom 04.06.2021

Warum der Wert beim vorzeitigen Ruhestand gesunken ist? Im Grund-, Mittel- und Förderschulbereich wurde im Rahmen des Piazolo-Pakets mit Kultusministeriellem Schreiben vom 07.01.2020 das Alter für den Antragsruhestand auf 65 erhöht. Damit erklärt sich der gesunkene Wert sehr einfach. Leider liegen noch keine Zahlen für das Schuljahr 20/21 vor. Ich stehe aber mit Simone Strohmayer im Austausch und habe bereits angeregt, die Frage erneut zu stellen.

Die Frage Strohmayers, was das Kultusministerium zu tun gedenke, um Dienstunfähigkeit in Zukunft zu verhindern, beantwortet man mit dem Hinweis auf das sich derzeitig im Aufbau befindende Arbeitsmedizinische Institut für Schulen (AMIS). Unter Beibehaltung des Dienststellenmodells (ausführliche Darstellung in meinem Blogbeitrag „Die Gefährdungsbeurteilung an bayerischen Schulen“) sollen medizinische, psychologische und arbeitstechnische Fachkräfte in Zukunft Schulleitungen und Kolleg*innen unterstützen und beraten und so für mehr Gesundheitsschutz an Schulen sorgen.

Mein Kommentar:

Scheuch/Haufe/Seibt stellen 2005 in einer Übersichtsarbeit zur Lehrergesundheit die unterschiedlichen Belastungsfaktoren und deren Folgen dar und kommen zu dem Schluss:

„Lehrberufe benötigen eine qualifizierte, den Besonderheiten der Lehrtätigkeit gerecht werdende betriebsärztliche Betreuung in einem Kompetenznetz, in das neben behandelnden Ärzten auch Psychologen, Psychiater und Psychosomatiker eingebunden sein sollten.“

Klare Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz finden sich im Arbeitsschutzgesetz, im Arbeitssicherheitsgesetz und in der DGUV2-Vorschrift. Dienststellen sind dazu verpflichtet, Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen, um Schaden von der Belegschaft abzuwenden. Beschäftigte haben ein Recht auf arbeitsmedizinische Vorsorge. Arbeitgeber müssen neben medizinischen Fachkräften auch solche für Arbeitssicherheit bestellen. Das gilt ausdrücklich auch für Bildungseinrichtungen.

In Bayern wird kaum eine Lehrkraft jemals eine Betriebsärztin oder eine Fachkraft für Arbeitssicherheit gesehen haben. Warum? Bayern regelt den Arbeitsschutz an Schulen mit einer Richtlinie. Diese Richtlinie ordnet die staatliche Verwaltung nach Art der Dienststelle und den damit für Beschäftigte verbundenen Unfall- und Gesundheitsgefahren in vier Gruppen ein. In der Gruppe 1 sind die Gefahren am größten, in der Gruppe 4 am geringsten.

Tabelle zur Eingruppierung der staatlichen Verwaltung. Es gibt 4 Gruppen. Schulen sind der am wenigsten gefährdeten Gruppe 4 "Bürobereiche" zugeordnet.
Ausschnitt aus Anlage 2 der Richtlinien über die Gewährleistung eines arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Arbeitsschutzes in der staatlichen Verwaltung des Freistaates Bayern

Für Beschäftigte in Gerichten, Museen, Bibliotheken und eben auch Schulen reichen aufgrund der geringen Unfall- und Gesundheitsgefahren im Jahr demnach 0.2 Stunden betriebsärztliche, bzw. 0.3 Stunden arbeitssicherheitstechnische Versorgung. Wenn die Leitung der Dienststelle an ausreichenden Schulungsmaßnahmen teilgenommen hat, braucht es gar keine Fachkräfte. Willkommen im Dienststellenmodell. Verantwortlich für den Arbeits- und Gesundheitsschutz sind die Schulleitungen.

Es ist dabei unerheblich, dass Lehrkräfte das Gesundheitsrisiko im eigenen Beruf gänzlich anders einschätzen…

Twitter-Umfrage zur Gefährdung im Lehrerberuf. Knapp 80 Prozent von 87 Lehrkräften schätzen den Lehrerberuf als riskant, bzw. sehr riskant bezglich der Gesundheitsgefährdung ein.

…oder sich gerade während der Notsituation „Corona“ nicht geschützt fühlen.

Twitter-Umfrage: Knapp 91 Prozent von 66 Lehrkräften fühlen sich im November 2021 während der Pandemie nicht ausreichend geschützt

Mir ist nicht bekannt, wie AMIS personell ausgestattet wird. Berücksichtigt man, dass es vor Jahren (abgesehen vom Projekt „Gesundheitsvorsorge an Schulen in Bayern“) noch kein Angebot gab, ist der Schritt einer in die richtige Richtung. Schulen sollten die Leistungen des Instituts unbedingt intensiv in Anspruch nehmen.

Um eine angemessene Umsetzung der gesetzlichen Vorschriften handelt es sich dabei aber nicht. Es erscheint willkürlich, dass Schulen dem Bürobereich zugeordnet sind und Lehrkräfte deshalb kaum Anspruch auf Gesundheitsschutz haben. Scheuch/Haufe/Seibt zeigen in ihrer Untersuchung deutlich: Lehrkräfte sind schwer belastet und in ihrem Beruf gesundheitlich gefährdet. Die GEW fordert neben den Verbesserungen der Arbeitsbedingungen deshalb seit Jahren: Den Schulen direkt zugeordnetes Fachpersonal, Gefährdungsbeurteilungen, arbeitsmedizinische Vorsorge und ein Ende des Dienststellenmodells. Sprich ein Kompetenznetz, das den Arbeits- und Gesundheitsschutz an Schulen sicher stellt, vorzeitiger Dienstunfähigkeit vorbeugt und den Erfordernissen gerecht wird.

Der Artikel erschien im Rahmen eines GEW-PV-Infos an der Personalversammlung des Personalrats für Förderschulen und Schulen für Kranke 2021/II.

Diesen Beitrag teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert